10 | Der Mietendeckel enteignet Denjenigen, die nicht verantwortlich erfahren sind in der wirtschaftlich und rechtlich sach- und fachgerechten Bewirtschaftung einer Immobilie, ist es schwierig zu verdeut- lichen, warum der Mietendeckel ein Enteignungsinstrument ist – und die darin enthal- tene Härtefallregelung nichts anderes als Kosmetik. Annette Beccard, Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, Stellvertretende Vorsitzende Haus & Grund Berlin-Neukölln Eine Journalistin fragte mich kürzlich, warum Vermieter, die der Mietendeckel in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt, nicht einen Härtefallantrag stellen. Diese Frage hat mich dazu veran- lasst, die Härtefallregelung etwas genauer zu hinterfragen. Im Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Ber- lin (MietenWoG Bln)1 ist geregelt, dass die Investitionsbank Ber- lin (IBB) zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine höhere, als die Mietendeckel-Miete genehmigen kann, wenn die Gründe der Härte hierfür nicht im Verantwortungsbereich des Vermieters liegen. Zu diesen Gründen ge- hören allerdings zum Beispiel nicht Rendite- und Ertragserwartungen. Die IBB hat auf ihrer Internetseite Angaben veröffentlicht, wann ein Härtefallantrag ge- stellt werden kann: > Ein Antrag auf Härtefall zur Vermeidung ei- ner unbilligen Härte kann gestellt werden, wenn die neu eingeführten Mietobergren- zen zu dauerhaften Verlusten oder zur Subs- tanzgefährdung der Wirtschaftseinheit führen. > Ein Verlust liegt vor, wenn die laufenden Aufwendungen die Er- träge für die maßgebliche Wirtschaftseinheit übersteigen. > Eine Substanzgefährdung ist gegeben, wenn Erträge aus der Wirtschaftseinheit für ihre Erhaltung nicht mehr ausreichen. > Eine unbillige Härte ist anzunehmen, wenn der Vermieter als na- türliche Person den überwiegenden Teil des Lebensunterhalts aus dem Überschuss der Mieteinnahmen bestreitet und dieser Überschuss infolge der Anwendung des MietenWoG Bln weni- ger als das Dreifache des Regelbedarfs nach dem Zwölften Sozi- algesetzbuch (SGB XII) beträgt. Grundsätzlich lässt der Berliner Mietendeckel Gebäudemerkmale unberücksichtigt, die nennenswert Einfluss auf die Kosten von Re- paratur und Instandhaltung haben: Unabhängig davon, ob es sich um Wohnfläche in einem Einzeldenkmal, in einem dem Ensemb- leschutz unterliegenden Gebiet, in einem Gebäude mit denkmal- geschützten Gebäudeteilen, in Gebäuden mit innovativer Tech- nik, um eine Wohnung in einer Großwohnsiedlung, einer 1920er-, 1930er-, 1950er- oder 1960er-Jahre-Siedlung handelt: alles wird „über einen Kamm geschoren“. Das passt nicht – und kann auch nicht passen! 1 MietenWoG Bln, § 8 Härtefälle, Absatz 1 Zu unterschiedlich sind schon allein die Kosten, die bei den unter- schiedlichen Gebäuden für Reparaturen aufzuwenden und für In- standhaltungen zurückzustellen sind. Ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Finanzierungswegen, die kommunale und pri- vate institutionelle Eigentümer und große Genossenschaften im Vergleich zu privaten, nicht institutionellen Eigentümern nutzen, um größere und große Maßnahmen zu finanzieren: Querfinan- zierung und Quersubventionierung einerseits, andererseits in aller Regel die Aufnahme eines marktüblichen Immobilienkredits. Der Berliner Mietendeckel lässt Gebäudemerkmale unberücksichtigt – alles wird „über einen Kamm geschoren“. Zwar werden im Rahmen der Überprüfung, ob der Mietendeckel einen Härtefall auslöst oder nicht, auch Instandhaltungsrücklagen in Ansatz gebracht, aber: die Beträge hierfür stammen aus der Tabelle „Instandhaltungs- kostenpauschalen der Zweiten Berechnungs- verordnung (II. BV)“. Im Internetlexikon Wi- kipedia heißt es dazu unter anderem: „Die Anwendungsbereiche der II. BV sind zunächst der soziale Wohnungsbau und der steuerbe- günstigte freie Wohnungsbau.“ Die Tabelle mit den Pauschalen, die seit 1. Januar 2020 gelten, habe ich mir angesehen – nachfolgend ein Auszug daraus: > § 28 (2) Nr. 1 Instandhaltungskosten für weniger als 22 Jahre alte Wohnungen höchstens 9,21 Euro im Jahr pro Quadratmeter > § 28 (2) Nr. 2 Instandhaltungskosten für mindestens 22 Jahre alte Wohnungen höchstens 11,68 Euro im Jahr pro Quadratme- ter > § 28 (2) Nr. 3 Instandhaltungskosten für mindestens 32 Jahre alte Wohnungen höchstens 14,92 Euro im Jahr pro Quadratme- ter > § 28 (4) Erhöhung der Instandhaltungskosten, wenn Vermieter Kosten der Schönheitsreparaturen trägt, um höchstens 11,02 Euro im Jahr pro Quadratmeter Unklar ist, wie die IBB mit der Erhöhung der Instandhaltungspau- schale umgeht, wenn der Vermieter die Kosten für die Schönheits- reparaturen trägt. Muss der Vermieter der IBB – gegebenenfalls auf seine Kosten – nachweisen, wie es um die Wirksamkeit der Schönheitsreparaturklauseln in den einzelnen Verträgen der in Rede stehenden Wirtschaftseinheit bestellt ist? . G V Z : O T O F